Nachhaltigkeit im Sinne sozialer Faktoren
Damit ein Projekt auf die Bauherrschaft und den Ort zugeschnitten sein kann, müssen vielfältige Faktoren in ein Projekt einfliessen.
Projekte "aus dem Katalog / aus der Schublade", wie wir diese heute (leider) oft sehen, können nie auf die individuellen, persönlichen Bedürfnisse der Bauherrschaft und die örtlichen Gegebenheiten (Einklang mit Umgebung, Ausnützung, zukünftige Weiterentwicklung, etc.) reagieren und interagieren.
Diese Projekte sind deshalb in keiner Weise mit einem massgeschneiderten Projekt, das diese individuellen Faktoren berücksichtigt, vergleichbar.
"Massgeschneidert" bedeutet aber noch viel mehr, als optimal auf die Bauherrschaft und die örtlichen Gegebenheiten "zugeschnitten" zu sein:
Ein Projekt, das so gut wie möglich auf die inneren und äusseren Faktoren reagiert, setzt damit die richtigen Materialien in einem effizientem Mass ein, geht somit sparsamer mit Ressourcen um und ist deshalb kosteneffizient.
Weil die Bedürfnisse der Bauherrschaft (sowohl aktuelle, als auch zukünftige) so gut wie möglich berücksichtigt werden, hat ein solches Projekt Bestand für lange Zeit.
Nachhaltigkeit im Sinne des Ressourcenverbrauchs
Die Bau- und Immobilienbranche trägt wesentlich zum Ressourcenverbrauch bei.
So werden in der Schweiz von Gebäuden 50% der gesamten Energie der Schweiz, 10% für Bau-Prozesse und 40% für den Betrieb (Klima, Lüftung, Licht, etc.). Dabei verursacht die Nutzung der Gebäude 40% der CO2-Emissionen der Schweiz. (Müller et al. 2016, S. 17)
Jährlich werden in der Schweiz 80 Mio. Tonnen Baustoffe benötigt. Nur 10 Prozent davon sind heute Recycling-Baustoffe. Während des Bauens werden heute in Europa 10 bis 15% des verwendeten Materials zu Abfall. Dass 54% des Materials von abgebrochenen Häusern in Europa auf der Deponie landen (in der Schweiz rund 60% (Brenner 2014, S. 2)) ist nicht nur sehr ineffizient, sondern gefährdet auch die Natur direkt: giftige Stoffe können in Boden/Wasser/Luft gelangen; die Bodenqualität wird verschlechtert; fruchtbares Land geht verloren. (Müller et al. 2016, S. 17)
Dass der Umgang mit der bestehenden Bausubstanz – also die (Weiter-)Nutzung statt «Beseitigung» bestehender Gebäude einen wesentlichen Beitrag gegen diese Entwicklung leisten kann, ist selbstredend. Wenn immer möglich, sollten die Möglichkeiten einer Sanierung und damit Verlängerung der Lebensdauer eines Gebäudes geprüft werden und die Sinnhaftigkeit eines Rückbaus hinterfragt werden.
Nachhaltigkeit im Sinne der Langlebigkeit
Ein Haus zu bauen ist eine grosse Investition. Und wer eine grosse Investition tätigt, möchte, dass sich diese früher oder später rechnet, damit man nicht das ganze Leben für diese Investition
arbeiten muss. Vielleicht möchte man aber auch, dass man der nächsten Generation nicht nur Schulden, sondern auch einen Nutzen zu hinterlässt.
Auf jeden Fall möchte man aber Folgeinvestitionen vermeiden, oder so klein wie möglich halten. Dazu ist es notwendig, sich für Konstruktionen und Materialien zu entscheiden, die langlebig sind.
Natürlich kann eine Bauherrschaft nicht wissen, wie man das am besten macht – dafür sind Fachleute (in diesem Fall die Architekten) da. Möchte man zumindest meinen…
In der Realität sieht es leider eher so aus:
Die kurzfristig günstigere Konstruktion sticht die Konstruktion aus, die sich längerfristig rechnet, weil sie unterhaltsarmer und langlebiger ist.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel anhand einer üblichen Aussenwandkonstruktion:
Die Konstruktionsart «Aussenwärmedämmung», auch «WDVS» (Wärmedämmverbundsystem) oder «Kompaktfassade» genannt, ist heute so weit verbreitet, dass man nur noch selten anders konstruierte
Aussenwände findet. Jede/r kennt es, weil man es überall sieht: «Styropor» wird auf die Wand geklebt und dann verputzt oder mit einem anderen Material ‘beklebt’, z.B. Klinkerriemchen, die über
den Untergrund hinwegtäuschen und dem Laien suggerieren, dass das eine hochwertige Konstruktion ist.
Lange galt die «Kompaktfassade» als ‘Allheilmittel’: Gute Wärmedämmung, guter Preis.
Für die meisten Architekten gilt es immer noch als ‘Allheilmittel’. Denn, wieso auf eine andere Konstruktionsart zurückgreifen, wenn man für die «Kompaktfassade» schon alle Details x-fach
gezeichnet hat und gar nicht mehr überlegen muss? Immer das gleiche zu machen, bedeutet weniger Arbeit für den Architekten. Nicht verwunderlich, dass die meisten Architekten ihren Kunden diese
Konstruktionsweise empfehlen. Manchmal wissen sie es aber auch einfach nicht besser.
Die Bauherrschaft sieht sowieso keinen Unterschied: Oberfläche schön, alles schön. Wer interessiert denn, ob die Konstruktion auch noch lange hält, nachdem die Garantie abgelaufen ist? Wer interessiert, wie man das Material entsorgt, wenn die Fassade bereits nach kurzer Zeit (jedenfalls im Verhältnis zur erwarteten Lebensdauer eines Gebäudes) saniert werden muss?
Corona und damit verbundene Lieferengpässe haben den Preisanstieg für die kunststoffbasierenden Dämmstoffe wie EPS («Styropor»), XPS, usw. verursacht – weshalb für die «Kompaktfassade» heute verbreiteter Mineralwolle (z.B. «Flumroc») und damit ein hochwertigeres Material zum Einsatz kommt. Doch auch die Materialpreise davon sind gestiegen und ich bin mir sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die kunststoffbasierten Dämmstoffe wieder vermehrt eingesetzt werden.
Nachhaltigkeit im Sinne eines gesunden Wohnklimas
Die Umweltverträglichkeit ist eine Sache, jedoch gibt es auch viele Materialien, die heute ganz selbstverständlich verwendet werden, die nicht frei oder arm von giftigen Stoffen sind. Dabei spielt die sog. «Ausgasung» in Wohnräume eine wichtige Rolle. (Müller et al. 2016, S. 18)
Das bedeutet, dass eingesetzte Materialien, bei deren Herstellung giftige Stoffe eingesetzt wurden, während ihrer Lebensdauer diese Stoffe an die Luft im Wohnraum abgeben können.
Dies können zum Beispiel Lösungsmittel oder Zusatzstoffe von Kunststoffen sein.
Kunststoffe werden heute auch in Baustoffen verwendet, in denen man diese nicht erwarten würde – so zum Beispiel in Verputzen und anderen Oberflächenmaterialien, wie Dispersionen (Wandfarben)
etc.
Das Bauen bei uns ist in einigen Teilen schon weit entwickelt. Es gibt Null-Energie-Häuser und gar Häuser mit Energie-Überschuss, Plus-Energie-Häuser. Die durchgehende Anwendung der
vorhandenen Technologien der Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen wird ein zentraler Schritt in Richtung eines "öl-, kohle- und erdgas-freien" Wohnens sein. Neue Standards und Initiativen
zeigen auf, worauf es beim zukunftsfähigen Wohnen & Bauen ankommt:
Materialien, die in Einklang mit den natürlichen Zyklen sind und die Gesundheit der Menschen nicht gefährden. (Müller et al. 2016, S. 21)
Das bedeutet also auch, dass man weder der Umwelt, noch seiner Gesundheit einen Gefallen tut, wenn man ein hochwärmegedämmtes Gebäude (z.B. Minergie-Haus oder Passivhaus) baut, aber nicht auf die
verwendeten Materialien geachtet wird. Verwendet man beispielsweise Wärmedämmungen aus Kunststoff (heute üblich und völlig selbstverständlich, z.B. XPS, EPS, PUR, PIR, etc.), nimmt man ein
Produkt, das vielleicht gut wärmedämmt, aber wegen seiner Beschaffenheit nicht dampfdiffusionsoffen ist. Das bedeutet, dass eine Konstruktion, in der Kunststoff-Wärmedämmung zum Einsatz kommt,
nicht atmungsaktiv ist. Bei «WDVS» ist dies beispielsweise der Fall, weil dort meistens auf einen der o.g. Dämmstoffe zurückgegriffen wird, weil es fast keine Alternativen für dieses System gibt.
Man kann sich das bildlich so vorstellen, wie wenn man ein Plastiksack über das Gebäude zieht.
Dass ein «Plastiksack», der sich über das ganze Gebäude zieht, für das Wohnklima nicht optimal ist, erklärt sich wohl von selbst.
Dass man auf Lüftungssysteme zurückgreifen muss, um das Gebäude «künstlich zu beatmen» ist die Konsequenz und zeigt den Widerspruch dieses Trends.
Quellenverzeichnis:
Müller Matthias, Chrenko Richard, Janssen Edwin, Perret Samuel, Zirhan Stefan (2016): Zielbilder für eine planetenverträgliche, zukunftsfähige Schweiz, Winterthur: S2 Sustainability Strategies
Brenner Valentin, Universität Zürich (2014): Gebäude‐Recycling: aktueller Stand, Trends, Herausforderungen | CUREM Horizonte 2014, Zürich: Drees & Sommer