medellin, kolumbien: verdichtung und lebensraum

dozenten: dieter jüngling / hansjörg hilti

Die meisten Städte in der sogenannten Dritten Welt sind mit einem unglaublichen Bevölkerungswachstum konfrontiert. Die vermeintlich wirtschaftlich besseren Voraussetzungen locken immer mehr Menschen in die urbanen Zentren um hier ihre Lebensgrundlage zu finden. Die vorhandene Infrastruktur der Städte reicht bei weitem nicht aus, Lebensraum für die schnell wachsende Bevölkerung zu schaffen. Die Folge sind grosse slumartige Wohngebiete in denen menschenunwürdige Lebensbedingungen, ohne jegliche oder nur notdürftige Infrastruktur, zu einer sozialen Verelendung führen.

In etlichen Projekten in verschiedenen Regionen der Welt und speziell in Medellin zeigt es sich jedoch, dass mit gezielten Interventionen in den Wohngebieten sich die Lebensbedingungen verbessern lassen und eine gezielte positive gemeinschaftliche Aktivität der Bevölkerung entstehen kann, die für eine soziale Stabilität und Wohlfahrt sorgen können.“ (Jüngling, 2014)

 

 

Projektbeschrieb

 

Ausgangslage

Medellin befindet sich in einer Talebene. Östlich und westlich des Stadtgebietes ragen Berge in die Höhe. Die Slumgebiete erstrecken sich von der Talebene bis in die steilen Hänge der Gebirge und sind zum Teil sehr schwer zu erreichen. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Seilbahnen gebaut wurden, um diese Gebiete zu erschliessen. Damit wurden auch die ‚unsichtbaren Grenzen‘ zerschlagen, welche zuvor von verschiedenen kriminellen Grupierungen kontrolliert wurden. Dadurch konnte die Kriminalität in diesen Gebieten stark reduziert werden und die Stadt Medellin hat damit international Aufsehen erregt.

Es gibt jedoch einige Seitentäler in der Stadt, welche nur sehr schlecht erschlossen sind. Diese sind momentan nicht sehr dicht besiedelt und weisen einen eher dörflichen Charakter auf. Wenn man die Zahlen des explosionsartigen Wachstums der Bevölkerung in Medellin betrachtet, ist es klar, dass sich die Stadt auch in den nächsten Jahren stark vergrössern wird. Dadurch werden auch diese Seitentäler in naher Zukunft stark besiedelt werden. Altavista ist eines dieser Seitentäler. Dieses wird in dieser Arbeit genauer betrachtet.

Die Politik der Stadt Medellin hat erkannt, dass etwas getan werden muss, um trotz des explosionsartigen Wachstums der Stadt weiterhin eine Grünzone erhalten zu können. Deshalb wurde von der Stadt ein Masterplan erstellt, welcher einen sogenannten ‚Grüngürtel‘ rund um die Stadt vorsieht.

 

Fragestellung

Diese Arbeit ist eine Auseinandersetzung damit, wie in dem Seitental ,Altavista‘ vorgegangen werden könnte, um einerseits dem Bevölkerungswachstum und andererseits dem von der Stadt vorgesehenen Grüngürtel gerecht zu werden. Dafür werden diverse Interventionen geplant. Weiters wird eine mögliche, bauliche Entwicklung in dem Tal ausgearbeitet, um zu gewährleisten, dass die von der Stadt beabsichitigten Ziele erreicht und die Wohnsituation der Bevölkerung verbessert werden können.

In diesem Buch wird der Entwurfsprozess der Auseinandersetzung mit der Thematik aufgezeigt und stellt zusammenfassend die Absichten in chronologischer Abfolge dar. Dies geschieht in textlicher und in selbsterklärender, grafischer Form.

Im Entwurfsprozess wurde ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, wie die bestehenden Grünanlagen in der Stadt mit dem von der Stadt geplanten Grüngürtel verbunden werden können und damit nachhaltig Lebensraum in dem Tal ‚Altavista‘ geschaffen werden kann.

 

Erläuterung Entwurfsprozess

Im Rahmen einer Gruppenarbeit widmeten wir uns der Fragestellung, wie ein urbaner Grünraum in die Stadt Medellin integrieret werden könnte. In einem weiteren Schritt wurde in einer Zusammenarbeit mit Studenten aus Medellin ein Ausschnitt konkretisiert, welcher zur Zwischenkritik in einer Einzelarbeit weiter ausgearbeitet wurde. Dabei wurde von mir das Augenmerk immer auf den Fluss, der aus dem Tal Altavista zum Rio Medellin - in der Mitte der Stadt - führt, gelegt. Diesen betrachte ich als Lebensader, welche das Tal mit dem Zentrum der Stadt verbindet.

Mit den Lebensadern könnte man in der ganzen Stadt argumentieren. Ein ganzes Netz an Flüssen und Bächen überzieht die Stadt und teilt sie in ein kleinteiliges Netz. Innerhalb dieses Netzes sind einzelne Sektoren erkennbar. Ob diese Sektoren zum Teil auch unterschiedlich funktionieren, ist als Aussenstehender schwierig zu beurteilen. Jedenfalls gibt es gewisse Gebiete - so zum Beispiel auch in Altavista - wo der Fluss durchaus als trennendes Element betrachtet werden kann.

Wenn bei den Flüssen / Bächen das Wort „Lebensader“ verwendet wird, ist dies wahrscheinlich eine gewagte Aussage - jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt. Die Gewässer in Medellin sind aufgrund ihrer hohen Verschmutzung eher lebensfeindlich. In diesem Punkt beginnt ein grosser Teufelskreis: Für die Menschen in Medellin gibt es keinen Grund, eine positive Einstellung gegenüber den Gewässern der Stadt zu haben. Es gibt dort beinahe keine Aufenthaltsorte und die Flussläufe befinden sich meist eingepfercht zwischen den Häusern oder Strassen - von Lebensraum kann hier nicht die Rede sein. An manchen Stellen der Stadt - so zum Beispiel auch im unteren Bereich von Altavista - wurden zwar parkähnliche Anlagen auf beiden Seiten des Flusses angelegt, belebt sind diese jedoch nicht. Man könnte die Behauptung aufstellen, dass es auch keinen Grund dafür gibt, diesen Raum entlang der Flüsse wie einen Lebensraum zu behandeln. Denn die Wasserqualität und der sich daraus verbreitende Geruch ist nicht sehr einladend. Deshalb werden die Flüsse nach wie vor als Abwasser- und Müllentsorgung ‚misshandelt‘.

Die Gewässer von Medellin haben jedoch ein grosses Potential. Sie führen alle letztendlich zur Natur und könnten somit mit ihrer naturverbindenden Funktion einen Beitrag zum urbanen Grünraum leisten. Dazu sind selbstverständlich verschiedene Massnahmen notwendig. Meiner Meinung nach ist z.B. ein flächendeckendes Kanalisationsnetz gut umsetzbar und unabdingbar.

In dieser Arbeit werden deshalb die Gewässer als Lebensader betrachtet und die für eine gute Wasserqualität nötigen Massnahmen bei allen Entwurfsideen als gegeben angenommen.

 

Forschungsfrage

Wie kann in ‚Altavista‘ Siedlung und Raum unter der Vorgabe einfacher Regeln geplant werden, dass dabei gleichzeitig eine Verdichtung und möglichst viel Lebensraum entstehen?

 

Methode

Mittels Plänen, Modellen, Skizzen, Fotos einer Exkursion werden verschiedene städtebauliche Eingriffe untersucht und führen zu einem Entwurf. Dieser zeigt auf, wie eine Intervention im Tal ‚Altavista‘ aussehen könnte, um die definierten Ziele zu erreichen.

Grundlage & Quellen

Als Grundlage dieser Überlegungen dienen hauptsächlich die Beobachtungen, welche von mir auf der Exkursion in Medellin gemacht wurden.

Die für diese Arbeit wesentlichen Grundlagen basieren auf:

- Teilnehmender Beobachtung

- Gesprächen mit Anwohnern

- Gesprächen mit Politikern

- Gesprächen mit Sozialarbeitern

- Kooperationen

- Für das Entwurfsstudio zur Verfügung gestellte:

- Planunterlagen

- Plangrundlagen

- Grafiken

 

Gewässer

Die Gewässer weisen im Moment eine sehr schlechte Wasserqualität auf, weil die bebauten Gebiete in dem Tal nicht vollständig mit einer Kanalisation erschlossen sind. So werden die Abwässer der Häuser in den nächsten Fluss / Bach geleitet. Diese Tatsache lässt die Gewässer zu einem eher lebensfeindlichen Teil des Tales werden.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, ist die Erschliessung aller Gebiete mit dem Kanalisationsnetz unabdingbar. Nachdem die Wasserqualität der Gewässer in den Griff bekommen wurde, könnten weitere Massnahmen das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen. So gehe ich beispielsweise davon aus, dass die Gewässer nicht mehr als Müllhalde dienen, wenn die Anwohner die Flüsse und Bäche als Bestandteil ihres Lebensraumes sehen. Damit diese als Lebensraum funktionieren, wären öffentliche Grünräume entlang der Gewässerläufe eine mögliche Lösung. Dies ist Bestandteil meines Projektes.

Ein weiterer Grund, wieso ich die Gewässerläufe zu einer öffentlichen Grünzone machen möchte, ist folgender: Die Bäche führen immer zur Natur, welche von der Stadt auch als Grüngürtel von Medellin gesehen wird. Da ich der Meinung bin, dass dieser Grüngürtel nur ein Vorteil für die Einwohner von Medellin sein kann, wenn dieser auch zugänglich gemacht wird, möchte ich die Grünzonen, welche Mitten in das Tal führen, mit dem Grüngürtel verbinden. So können die Bewohner von Altavista im übertragenden Sinn Teil des Grüngürtels werden.

 

Topografie

Während der Regenzeit kommt es in den Hanglagen immer wieder zu Erdrutschen, welche die Häuser der Bewohner des Hanges zerstören. Dies scheint unter anderem auch zu passieren, weil die Hänge durch die starke Bebauung destabilisiert werden.

Die Hänge in Altavista nicht zu bebauen, wäre aber nicht die richtige Lösung. Geht man von einem andauernden Bevölkerungswachstum in der Stadt aus, muss die noch vorhandene Fläche optimal genutzt werden. Deshalb habe ich mich damit beschäftigt, wie der Hang bebaut werden könnte, damit der Boden nicht weiter destabilisiert wird und weitere Katastrophen drohen. Ich kam dabei zum Schluss, dass die Hänge möglichst so bebaut werden sollten, dass diese nach Möglichkeit dadurch sogar stabilisiert werden. Dies wäre zum Beispiel durch Verankerungen möglich, die bereits bei der Planung der Gebäude vorgesehen werden. Auf jeden Fall sollte die Bebauung aber so ausgestaltet sein, dass die Hänge nicht zu stark ‚verletzt‘ werden, also nicht zu tief gegraben werden muss. Diese Überlegung brachte mich zum Schluss, dass die Bebauung in den Hängen zwar möglichst dicht sein soll, aber zu tiefe Gebäude dürfen es nicht sein, weil diese einen grossen Aushub zur Folge haben. Mein Ziel war es also, möglichst mit der Topografie zu arbeiten und daraus eine Bebauungsform zu entwickeln.

 

Verkehr

Die Seilbahnen in anderen Gebieten der Stadt haben mich fasziniert. Doch ich bin der Meinung, dass in Altavista die Bebauungsdichte noch nicht so hoch ist, dass dies eine notwendige Art wäre, das Tal mit öffentlichem Verkehr zu erschliessen. Der Nachteil der Seilbahn ist, dass die Stationen sehr gross und teuer sind. Deshalb können mit einer Seilbahn nur punktuell Gebiete erschlossen werden. Eine herkömmliche Strassenbahn ist in diesem Tal nicht möglich, weil die Steigung zu hoch ist. Eine Zahnradbahn wäre eine mögliche Alternative, doch ich denke, dass die Kosten dafür viel zu hoch wären.

Es gibt im Tal bereits eine Busverbindung. Ich denke, dass dies im Moment auch die sinnvollste Lösung ist. Im Anbetracht dessen, dass dies sicher auch die günstigste Lösung ist, bin ich der Ansicht, dass der Busverkehr auch in Zukunft eine gute Lösung sein kann. Voraussetzung dafür ist, dass es ein gutes Strassennetz gibt. Dieses habe ich in meinem Projekt berücksichtigt. Die bestehende Strasse soll ausgebaut werden und eine zusätzliche Strasse soll auf der anderen Flusseite erstellt werden. Wenn dies im Voraus gemacht wird, ist es nicht so schwierig, dies im Nachhinein zu machen. Der Vorteil ist, dass die eine Flusseite in vielen Teilen des Tals von den Ziegelfabriken benutzt wird. Da man davon ausgeht, dass die noch verbliebenen Fabriken die nächsten Jahre schliessen werden, bietet dies Potential für das Tal - auch für den Bau einer neuen, breiteren

 

Strasse

Ich glaube nicht, dass es realistisch wäre, wenn man davon ausgeht, dass das Tal ausschliesslich mit öffentlichem Verkehr erschlossen wird. Viele Menschen dort brauchen ein Fahrzeug, um Waren zu transportieren. Deshalb müssen die Strassen auch ausgebaut werden, wenn man davon ausgeht, dass die Bevölkerung auch in Altavista stark wachsen wird. Wenn die Strassen ausgebaut werden und beispielsweise eine Busspur darin vorgesehen wird, wäre das meiner Meinung nach eine ideale und wahrscheinlich auch die günstigste Lösung, das Tal nachhaltig zu erschliessen.

 

Bebauung

Im Talboden ist die Stadt um unteren Bereich von Altavista bereits etwas in Tal gewachsen. Dort stehen einige Hochhäuser. Laut Gesprächen mit Bewohnern von Altavista ist diese Tatsache auch nicht schlimm. Ich denke, dass dort wo es möglich ist, auch hoch gebaut werden soll, damit zwar viele Leuet in Altavista leben können, aber dadurch auch Lebensraum geschaffen werden kann. Die Slumbebauungen in der Stadt breiten sich wie ein Teppich über die gesamte Fläche und der Lebensraum ist somit die Strasse. Es gibt in diesen Gebieten selten Parks oder öffentliche Gebäude mit platzartigen Situationen. Ansonsten wurden diese meist nachträglich durch den Abbruch von bestehenden Häusern errichtet. Eine höhere Bebauung in der Talebene macht meiner Meinung nach Sinn, wenn es dafür dazwischen einen Zwischenraum gibt, in dem sich das Leben abspielen kann. Parks sind nicht nötig, weil die Grünzone entlang der Gewässerläufe dafür bestimmt ist. Die Bebauung auf der Talebene habe ich nicht vertieft behandelt, weil es für mich eine grössere Herausforderung war, die Hangsituationen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Wie bereits unter ‚Topografie‘ beschrieben, soll die Bebauung am Hang so gestaltet sein, dass ein möglichst kleiner Eingriff in das Erdreich nötig ist. Ich habe eine schlangenartige Bebauungsart entlang der Höhenlinien entwickelt, damit sich die Gebäude optimal den gegebenen Voraussetzungen anpassen können. Dabei stellte sich mir die Frage, wie man mit den unterschiedlichen Hangneigungen umgehen könnte, um möglichst immer das gleiche Bebauungssystem verwenden zu können. Auf den nächsten Seiten ist schematisch dargestellt, wie eine Bebauung je nach Hangneigung funktionieren kann. Dabei spielen vor allem die Zwischenräume eine wichtige Rolle. Es soll die Erschliessung durch den Verkehr, die Parkierung (in den Plänen weiss, diagonal schraffiert) und die Lebensqualität berücksichtigt werden. Die Gebäude des Systems sind horizontal immer mit den Grünräumen der Gewässer verbunden. Diese Grünräume sind für alle Anwohner in diesen Gebieten schnell erreichbar und können Spielplätze usw. beherbergen. Das Bebauungssystem ist so ausgelegt, dass von jeder Wohnung aus ein Ausblick auf die Bergflanke auf der anderen Seite des Tals gewährleistet ist. Die Zwischenräume funktionieren als Begegnungszone für die Anwohner als Bestandteil einer sozialen Lebensform in diesen Gebieten. Auf den folgenden Seiten ist das Potential dieser Bebauungsform grafisch aufgezeigt.

Durch die Talebene soll die Stadt in das Tal wachsen, an den Hängen gibt es eine neue und dichte Bebauung, welche sich an der Topografie orientiert.

Durch die Grünzonen entlang der Gewässerläufe haben alle Bewohner - ob in der Talebene, oder am Hang - die Möglichkeit die öffentlichen Grünflächen zu nutzen. Entlang dieser Grünflächen können sich öffentliche Einrichtungen und Restaurants ansiedeln und von dem neuen Landschaftsbild profitieren.

Längerfristig gesehen könnte Altavista so zu einem attraktiven Stadtteil von Medellin werden.